Warum "Sozialarbeit statt Studiengebühren" so böse ist...

Posted on 11.01.2007 unipolitik, gesellschaftspolitik

Stellungnahme der Fachschaft Informatik zur Idee Studierende als unterbezahlte und ungelernte SozialarbeiterInnen einzusetzen:

Seit bald sieben Jahren sind Studierende gezwungen, das Budget des Finanzministers mit rund 370 Euro im Semester zusätzlich zu unterstützen. Zusammen mit der massiven Unterdotierung der Universitäten und mit den zahllosen gesetzlichen Grausamkeiten die den Studierenden, ihren Vertretungen, aber auch den Universitäten an denen sie studieren, in den letzten Jahren auferlegt wurden, ergibt sich ein niederschmetterndes Bild der schwarz-blau/orangen Bildungspolitik.
Als das Wahlergebnis des 1. Oktobers bekannt wurde, erhofften sich viele einen Kurswechsel zu mehr (sozialer) Gerechtigkeit in der Bildungspolitik. Seit am 8. Jänner die große Koalition als schwarzes Alleinregierungs-Projekt entlarvt wurde und die SPÖ-Führung ihre Ideologielosigkeit und Abgehobenheit (Als “Kommunisten” wurden DemonstrantInnen meines Wissens zuletzt 2000 von Wolfgang Schüssel bei seinem Amtsantritt als Kanzler bezeichnet) demonstriert hat, ist klar geworden, dass das Gegenteil vom Erhofften eingetreten ist, bzw. eintreten wird.

In den nächsten Jahren soll es Studierenden möglich sein mit Sozialarbeit um 6 Euro/Stunde die Studiengebühren abzuarbeiten. Der als “de facto Abschaffung der Studiengebühren” verkaufte Umfaller der SPÖ ist ein Albtraum für alle Beteiligten: für die Studierenden und für alle Menschen, die mit den zukünfigten “SozialarbeiterInnen” in irgendeiner Weise in Berührung kommen. Das inkludiert die ArbeitgeberInnen, den in Sozialberufen tätigen Menschen und ganz besonders jene Menschen, die ebenjene Sozialarbeit in Anspruch nehmen müssen.

Die Behauptung, die Studiengebühren wären mit vorliegendem Kompromiss “de facto abgeschafft”, ist geradezu lächerlich. Viel schlimmer, der Hauptkritikpunkt gegenüber Studiengebühren, nämlich dass sie Menschen aus sozial schwächeren Gruppen benachteiligen, wird noch verschärft. Studierende, die sich bisher die Studiengebühren leisten können, werden dies auch weiterhin können. Solche, die sich die Studiengebühren hingegen nicht leisten können, werden in unterbezahlte Arbeit abgeschoben. Arbeit, die das Studium zusätzlich verlängert, wofür es weitere Sanktionen seitens des Staates und eventuell auch der Universität gibt. Denn auch wenn der Zwang für eine Mehrzahl der Studierenden arbeiten gehen zu müssen jetzt zumindest offiziell gemacht wird, sind arbeitende Studierende noch immer nicht gesetzlich anerkannt. Die angebotenen Sozialdienste stellen für Studierende aus vielerlei Gründen keine Alternative dar: Die Bezahlung ist geringer als bei jedem anderen typischen Studierendenjob und so niedrig, das unweigerlich ohnehin ein weiterer Job her muss. Wie sich die Sozialdienst-“Alternative” auf die Bezahlung in normalen Berufen auswirkt, muss erst die Zeit zeigen, steigen wird der Lohn beim Flyerverteilen aber sicher nicht. Ganz abgesehen davon, dass einem Menschen (wie auch der/dem Betreuten) nicht zugemutet werden kann, soziale Dienste zu verrichten, wenn er diese Dienste garnicht interessant findet oder gar von vornherein dafür nicht geeignet ist.

Ist der “Kompromiss” für Studierende eine Verhöhnung, ist er für Menschen, die tatsächlich und ernsthaft SozialarbeiterInnen sind, schlichtweg eine Bedrohung. Sozialarbeit hat in unserer Gesellschaft einen viel zu geringen Stellenwert, ist meistens unterbezahlt, oft gar überhaupt ohne Bezahlung. Die Aussicht, dass der Arbeitsmarkt in diesem Sektor von minderqualifizierten Studierenden, die zu Dumpingpreisen die Arbeit von ausgebildeten Fachkräften verrichten (müssen), ist keine sehr rosige Vorstellung. Damit wird bestenfalls erreicht, dass Sozialarbeit, und zwar für alle SozialarbeiterInnen, noch geringer bezahlt wird, noch weniger wert geschätzt wird und nicht zuletzt auch die Qualität der Arbeit massiv sinkt.

Sollte der gegenwärtig im Raum stehende Vorschlag zur “de facto Abschaffung der Studiengebühren” tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, so ist er für alle Betroffenen eine Katastrophe. Weder wird das Problem der Studiengebühren aus der Welt geschafft, noch wird den potentiellen “Sozialdienst-Anbietern” ein Dienst getan: Diese Regelung bringt weder mehr noch bessere Fachkräfte. Dr. Gusenbauer behauptete, diese Maßnahme würde “eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft” [1] bringen. Aber der einzige Effekt der zu erwarten ist, ist eine Verschlechterung für jede/n in diesem Land, denn z.B. mit PflegerInnen kommen wir alle einmal in Berührung. Und wir alle wissen, dass Verschlechterungen für alle bestenfalls das Konfliktpotiential, sicher aber keinen Zusammenhalt fördern.

[1] http://derstandard.at/?url=/?id=2718910