Bericht über die gestrige Bundesvertretungssitzung

Posted on 21.06.2008 unipolitik

Wie viele von euch bereits gestern und heute in der Zeitung gelesen haben, ist die GRAS/FLÖ/VSSTÖ Koalition in der ÖH-Bundesvertretung (“BV”) gestern geplatzt. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt (es gibt eine neue, ziemlich schlimme UniGesetz-Novelle, und eine neue Wahlordnung soll den Weg für e-Voting frei machen) ist also unsere Vertretung auf Bundesebene (die immerhin mit dem Ministerium verhandeln soll) von Auflösungserscheinungen befallen. Nun, ich habe davon gestern Mittag, zwei Stunden vor der Sitzung der Bundesvertretung (die übrigens öffentlich ist, wenn mensch weiss, wo sie ist) erfahren und beschlossen gleich hin zu fahren, um mir selbst ein Bild von der Situation zu machen. Da ich denke, dass die Sache alle Studierenden etwas angeht, möchte ich hier einen Bericht über das gestrige Kasperl-Theater dazu posten:

Vorgeschichte

Natürlich ist so ein Bericht nicht ganz komplett ohne etwas Vorgeschichte, deswegen hier erstens ein paar Fakten und zweitens ein paar Ereignisse, die sich direkt davor abgespielt haben (Wenn ich mich auf die Berichte von Menschen aus Fraktionen stütze, wird es explizit vermerkt!)

  • In der ÖH Bundesvertretung gibt es 66 Sitze, davon entfallen 20 auf die AG (ÖVP-nahe), 15 auf die GRAS (den Grünen nahe), 14 auf die FLÖ (keiner Partei nahe) und 11 auf den VSSTÖ (SPÖ-nahe) und 3 Ein-Sitz-Parteien (RFS, KSV, LSF) und 3 unabhängige.
  • Um eine Mehrheit zu bilden benötigt es also entweder AG und entweder GRAS oder FLÖ oder GRAS, FLÖ und VSSTÖ (letzteres war die bisherige Variante).
  • Teil des Koalitionsvertrages war, dass im ersten Jahr Hartwig Brandl (FLÖ) den 1. Vorsitz mit Nadja Gasser (GRAS) als Stellvertreterin macht, und im zweiten Jahr im Rotationsprinzip Gasser mit Brandl als Stellvertreter den Vorsitz übernimmt. Diese Rotation hätte bei der gestrigen Sitzung passieren sollen.
  • Menschen aus allen drei Vorsitz-Fraktionen haben mir erzählt, dass es in den Monaten davor bereits “gekriselt” hat, es dürfte also tatsächlich schon vorher die Zusammenarbeit nicht sehr gut funktioniert haben.
  • Aus VSSTÖ und GRAS habe ich gehört, dass Hartwig Brandl (FLÖ) am Abend vor der Sitzung noch gemeint hat, er wolle die Koalition weiter führen.
  • Gestern, Freitag, um 9:00 Uhr wird schließlich die Koalition von allen Beteiligten als nicht mehr existent betrachtet. Hartwig Brandl (FLÖ) weigert sich, wie abgemacht zurückzutreten und als Stellvertreter seiner bisherigen Stellvertreterin weiter zu arbeiten. Die Koalition wird also von Seiten der FLÖ aufgekündigt.
    • Der FLÖ nicht genehme SachbearbeiterInnen und ReferentInnen wurden noch vor der Sitzung der Bundesvertretung von Hartwig Brandl suspendiert. Die ÖH ist damit in wesentlichen Bereichen handlungsunfähig.
    • Sämtliche MitarbeiterInnen der Bundesvertretung wurden (von allen drei) Fraktionen über die Abläufe im Dunkeln gelassen. Uns erreichen Berichte, wonach Menschen nicht wissen, ob sie am Montag noch arbeiten gehen dürfen oder ob sie überhaupt ihr Geld für bisher geleistetes bekommen.

Vor der Sitzung

Gleich als ich in den Raum gekommen bin, ist mir aufgefallen, dass ich von allen großen Fraktionen, mit Ausnahme der AG, Menschen persönlich kenne. Nachdem einige MandatarInnen von der FLÖ von der TU kommen und ich sie von fachschaftsübergreifender Arbeit teilweise auch ganz gut kenne, hab ich gleich einmal mit ein paar FLÖ-Menschen geredet, warum Brandl sich jetzt weigert zurück zu treten und die Koalition aufgekündigt wurde. Mir wurden von jenen, die meinten zu wissen, warum die Koalition aufgekündigt wurde (wobei es sich definitiv um eine Minderheit der MandatarInnen handelte), primär zwei Gründe genannt:

  • Der VSSTÖ biedert sich extrem an die Mutterpartei an und verhält sich wie ein verlängerter Arm der SPÖ.
  • Der VSSTÖ verlangt eine “Total-Opposition” gegen die große Koaliton und vor allem gegen die SPÖ und ist nicht zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Ministerium bereit.

Gut, nach dem ersten Durchlesen fällt wohl jedem der Widerspruch auf. Nachdem das auch der FLÖ klar geworden ist, wurde letzter Punkt dann doch in “ÖVP-Bashing” umbenannt. So scheint die Begründung jetzt auch in den Zeitungen auf. Alles in allem wirkten alle drei Fraktionen relativ aufgelöst, GRAS und VSSTÖ waren noch im Schock und wussten nicht genau was passiert und bei der FLÖ wirkte ein Großteil der MandatarInnen verwirrt, von einigen wenigen (jenen, wo ich glaube, dass sie in der FLÖ den Ton angeben) abgesehen.

Sitzungsbeginn

  • Gleich zu Beginn der Sitzung wird von der FLÖ ein Antrag eingebracht, der die wichtigsten Tagesordnungspunkte (Wahl des/der 1. und 3. Vorsitzenden und “Allfälliges”) vertagen soll. Zunächst wird dieser Antrag mit den Stimmen der FLÖ und AG angenommen, meine Vermutung, dass AG und FLÖ längst ein geheimes Abkommen haben, erhärtet sich.
  • Die GRAS wirft ein, dass Tagesordnungspunkte nicht verschoben werden können, bevor die Tagesordnung beschlossen wird und beantragt eine kurze Sitzungspause.
  • Nach der Pause wird die Tagesordnung einstimmig angenommen und oben genannter Antrag wird erneut eingebracht.
  • Plötzlich stimmt die AG mit GRAS und VSSTÖ gegen den Antrag, warum ist nach wie vor nicht ganz klar. (Vermutung: GRAS/VSSTÖ haben ein besseres Angebot als die FLÖ gemacht?).

Die Koalitions-Debatte

Es gibt eine allgemeine Diskussion über den Vorsitz, warum es jetzt so kriselt, warum das schlecht ist usw..

  • Von der FLÖ melden sich einige Redner zu Wort, allen voran Brandl selbst und das FLÖ-Urgestein Funowitz, ein bekannter Kampfredner (Zitat von gestern: “Nieder mit den Heuchlern!”). Es wird wiederholt die Behauptung aufgestellt, dass die FLÖ als Liste ohne Mutterpartei als einzige Liste qualifiziert ist, den Vorsitzenden zu stellen. Immer wieder wird von Seiten der FLÖ behauptet, VSSTÖ, GRAS und AG sind nur verlängerte Partei-Arme und haben nichts für die Interessen der Studierenden über. Auffällig ist, dass besonders die AG ziemlich wüst beschimpft wird… und ich dachte, die FLÖ mag mit der AG noch eine Koalition bilden?
    • Funowitz z.B. meint, dass jetzt, wo nur noch “Partei-Vorfeldorganisationen” den Ton in der ÖH angeben würden, die ÖH wie das System auf nationaler Ebene ein Ständestaat wäre. Er ist also offensichtlich der Meinung, dass es in Österreich die Todesstrafe, Anhaltelager für politische Gefangene, Bombardierungen von Wohnbauten durch das Bundesheer, eine Einheitspartei (mit Verbot aller anderen Parteien) und eine geplante Ausweisung der jüdischen Bevölkerung gibt. Naja.
    • Auch der LSF und der KSV (beide 1 Mandatar) melden sich immer wieder zu Wort und ergreifen für die FLÖ und Hartwig Brandl Partei.
    • Von Seiten der anderen Parteien wird natürlich auch die FLÖ attackiert, insgesamt ist der Ton der Debatte sehr rau und von vielen Sitzungsunterbrechungen gekennzeichnet.
  • Im Laufe der Debatte bringt die AG (die gerademal eine Stunde davor mit der FLÖ unter einer Decke schien) einen Abwahl-Antrag gegen Hartwig Brandl ein. Die Debatte geht noch etwas weiter und schliesslich kommt es zur (geheimen) Abstimmung, für eine Abwahl ist eine 2/3 Mehrheit nötig. Es gibt 35 Prostimmen, 16 Gegenstimmen und 10 Enthaltungen.
    • Vermutung über das Stimmverhalten: FLÖ, KSV und LSF für Brandl, AG enthält sich zur Hälfte (warum?).
    • Zuerst sieht es so aus, als wäre der Antrag abgelent, da lt. Brandl die Enthaltung das Quorum nicht senken.
    • Interessantes Erlebnis: Ich meine zu einem AG-Menschen: “Tja, das ist jetzt nicht so ganz gelaufen, wie ihr euch das vorgestellt habt”. Er meint dazu etwas verschmitzt: “Hehe, glaubst du, das war schon genau was wir wollten!”. Wieder ein WTF?
  • Es wird darüber diskutiert, ob die Enthaltungen das Quorum senken oder nicht, es gibt dazu unterschiedliche Rechtsmeinungen. Schließlich erklärt Brandl, dass die Ansicht, dass Enthaltungen das Quorum senken (womit eine 2/3-Mehrheit gegeben ist), eine mögliche Rechtsansicht ist, die er nicht teilt, sich nun aber trotzdem anerkennt, dass er abgewählt ist. Er übergibt damit den Vorsitz an Lisa Schindler (VSSTÖ), die 3. Vorsitzende ist (nachdem die 2. Vorsitzende ja für den ersten Vorsitz kandidiert).

Wahl der/des neuen Vorsitzenden

Schließlich kommt es zur Wahl der oder des neuen Vorsitzenden. Ein paar Details zum Wahlmodus: Es benötigt die Hälfte der gültigen Stimmen, um zum Vorsitz gewählt zu werden. Gibt es keine absolute Mehrheit, wird die Wahl wiederholt, wobei nach dem dritten Wahlgang eine relative Mehrheit (also jener Kandidat, mit relativ den meisten Stimmen) zum gewinnen der Wahl reicht.

  • Zur Wahl des Vorsitzes treten Samir Al-Mobayyed (AG), Nadja Gasser (GRAS, nach Koalitionsabkommen nächste Vorsitzende) und der gerade abgewählte Hartwig Brandl an.
  • In den ersten beiden Wahldurchgängen bekommen die Kandidaten der jeweiligen Fraktionen genau die Stimmen ihrer Fraktionen (Gasser die Stimmen von GRAS und VSSTÖ).
  • Vor dem dritten Wahldurchgang zieht Hartwig Brandl seine Kandidatur zurück, womit die FLÖ quasi entscheiden kann, wen sie zum Vorsitzenden wählt.
  • Wir alle kennen den Ausgang: Samir Al-Mobayyed wird mit den Stimmen von AG und FLÖ zum neuen Vorsitzenden gewählt.

Wahl der/des dritten Vorsitzenden

  • Vor der Wahl zieht Selim Naci (GRAS) die Kandidatur zurück. Hartwig Brandl will erneut antreten, da die RednerInnenliste aber geschlossen ist, sind keine Kandidaturen mehr möglich (Anm.: Das find ich komisch, wurde aber von allen so akzeptiert). Zur Wahl steht also nur noch Köck von der AG (Vornamen hab ich vergessen).
  • Die FLÖ ist vor der Abstimmung ausgezogen, GRAS und VSSTÖ haben sich enthalten, er ist mit den Stimmen der AG gewählt worden.

Fazit

Insgesamt ist die FLÖ sehr schlecht rüber gekommen. Widersprüchliche Behauptungen, polemische Anschuldigungen und der Anspruch, alleine zur Vertretung der Studierenden qualifiziert zu sein, haben den Eindruck erweckt, dass der überraschende Koalitions-Bruch aus purem Machtrausch passiert ist. Anscheinend dachte die FLÖ, dass GRAS/VSSTÖ und die AG nie gemeinsam stimmen werden und Hartwig Brandl damit einfach Vorsitzender bleibt (äußerst naiv). Die panischen bis trotzigen Reaktionen nach der Abwahl bestätigen diesen Eindruck. Die andere Möglichkeit ist natürlich, dass die FLÖ bereits fix mit der AG eine Koalition bilden wird, eine Variante, die zumindest von vielen an der TU Wien immer ausgeschlossen wurde (“undenkbar”).

Die ÖH ist nun nachhaltig geschwächt. Die AG, eine Marionette der ÖVP, stellt nun alleine und ohne demokratische Legitimation den Vorsitz und soll mit dem Ministerium gegen Themen wie Zugangsbeschränkungen, Freigabe der Studiengebühren für ausländische Studierende (die an der TU bisher schon die doppelten Studiengebühren zahlen mussten), entdemokratisierung der Unis und e-Voting verhandeln. In einer Zeit, in der eine stabile und starke ÖH sehr wichtig wäre, wurde die ÖH zugunsten von Machspielen geopfert.