Die Pipeline ist leck! - Der unpublizierte Artikel

Posted on 23.01.2012 fridolin, unipolitik, gesellschaftspolitik

Wir haben uns auf Wunsch und mit Erlaubnis des Frauenreferats dazu bereit erklärt, den folgenden Artikel zu veröffentlichen. Das Pressereferat weigert sich, wegen eines seit Mai letzten Jahres andauernden Konflikts mit dem Frauenreferat, die Jänner-Ausgabe des HTU_Infos zu publizieren. Wir finden den Artikel sowohl inhaltlich als auch sprachlich über dem Niveau des derzeitigen HTU_Info-Durchschnitts und möchten euch den Artikel nicht vorenthalten und die Gelegenheit geben, euch selbst ein Bild zu machen.


Im Hörsaal sind überwiegend männliche Studierende. Wer kennt das nicht? Frauen muss man zwar mittlerweile nicht mehr mit der Lupe suchen, aber ausgewogen sind die Verhältnisse bei weitem nicht und werden im Laufe des Studiums sogar immer schlechter. Das Drop-out-Risiko für Frauen* an der TU wurde nun durch eine Leaky-Pipeline-Studie mit Zahlen untermauert.[1]

Was ist die Leaky Pipeline?

Der Begriff “Leaky-Pipeline” stammt aus den USA und soll zum Ausdruck bringen, wie der Frauenanteil im Verlauf der Karrierestufen abnimmt. In Analogie zu einer lecken Pipeline scheinen viele Frauen bei jeder Karriereebene zu “versickern”, etwa durch Unvereinbarkeit von Beruf und Familie oder Diskriminierung. An der TU Wien ist diese Pipeline besonders leck, wie durch die Studie gezeigt wird. Nur auf der Architektur, als einzige Studienrichtung, gibt es derzeit eine Beginnerinnenquote von 50%. Blickt man einige Karriereebenen hoch zu den Professorinnen, so fällt der Frauen*anteil rasch auf 17% ab. Gleich oder schlechter sieht es in den anderen Studienrichtungen aus.

Die Studie wurde unter der Leitung von Prof.in Sabine Köszegi in vier Teilgebieten erarbeitet:

“Geschlecht zählt?!”

Dieser Teil der Studie arbeitet heraus, was die Ursachen für den höheren Drop-out von Frauen* sind und quantifiziert die Anzahl an Studienabbrecherinnen. Dazu wurden Inskriptions- und Abschlussdaten von Studierenden der Jahre 1998 bis 2010 ausgewertet, wobei jene, die niemals eine Prüfungsleistung erbracht hatten vorher aussortiert wurden. Es stellte sich heraus, dass die Abbruchquote für Studentinnen* um 30% höher liegt, als die ihrer männlichen Kollegen. Dieses Ergebnis änderte sich auch für Frauen mit guter technischer Vorbildung etwa durch eine HTL nicht. Daraus wird in der Studie geschlossen, dass es nicht an mangelnden Vorkenntnissen der Frauen* liegt, sondern daran welches Umfeld sie an der TU vorfinden.
Im Bachelor ist der Anteil von Studentinnen, die ein Studium abbrechen gleich um 50% höher. Hier gibt es bisher jedoch erst zwei analysierte Jahrgänge. Nur bei den Lehramtsstudierenden läuft der Hase andersrum – dort ist das Abbruchrisiko für Frauen geringer als bei den männlichen Lehramtsstudierenden.
Durch die Unterteilung der Studien in Bachelor und Master gehen leider zusätzlich noch mehr Frauen
nach dem Bachelorabschluss verloren, ohne einen Master anzuhängen.

“Der Supermitarbeiter”

In diesem Studienteile wurden Personalauswahlentscheidungen an der TU untersucht. Um die Personalauswahl besser verstehen zu können, wurden fiktive Bewerbungsszenarien hergestellt, die von unterschiedlichen Personengruppen der TU bewertet wurden. Es gab vier unterschiedliche Szenarien, jeweils 3 Frauen und 3 Männer mit unterschiedlichen Genderprofilen[2] als Bewerberinnen. Die Ergebnisse zeigen, dass hausinterne Kandidatinnen einen Vorteil haben und Frauen* systematisch schlechter bewertet werden, wenn sie in den Bewerbungsunterlagen als Frauen erkennbar sind, während bei Männern* der entgegengesetzte Effekt eintritt.

“Fremde Galaxien”

Eine positive Bilanz konnte die Mobbingstudie ziehen. An der TU gibt es im Verhältnis zu anderen Unis eine recht niedrige Mobbingrate.

“Der Weg und das Ziel”

In diesem Teil der Studie wurden Frauen* zu ihrer Karriere bzw. ihrem Karriereausstieg von der TU befragt. Es zeigte sich, dass es im Wesentlichen zwei Sichtweisen gibt, wie Frauen* den Verlauf ihres Lebens einschätzen. Einerseits gibt es solche, die sagen: “Mein Leben ist ganz normal verlaufen”, und andererseits jene, die sich als “Ich bin anders” zusammenfassen würden. Erstere versuchten sich tendenziell eher an die Bedingungen anzupassen und wollen als “ganz normal” wahrgenommen werden.
Diejenigen, die sich als “anders” empfanden reflektierten öfter über Hürden in ihrer Laufbahn und über ihre Sonderrolle als Frau* in einer Männerdomäne. Beide Gruppen gaben an, einen hohen Assimilationsdruck von außen zu spüren und als Frauen* sehr aufzufallen. Außerdem findet sich in fast allen Biografien erfolgreicher Frauen* an der TU ein männlicher Förderer, der den Karriereverlauf der Frauen wesentlich beeinflusste und ohne den sie keinen Zutritt in das System bekommen hätten.

Dadurch, dass es zu den hier dargestellten Problemen an der TU nun konkrete Zahlen gibt und Ursachenforschung betrieben wird, können hoffentlich in Zukunft konkrete Maßnahmen gesetzt werden, um mehr Frauen* und Männer* an der TU zu halten.

Quellen:

  1. Die Sternchen im Artikel sind eine Form von gendergerechter Sprache. Sie sollen nicht nur biologische Frauen oder Männer sondern auch alle Personen die sich keiner der beiden Gruppen zugehörig fühlen einschließen, z.B. Intersexuelle oder Transgender.
  2. Genderprofile: In den Bewerbungsunterlagen wurden den Personen bestimmte Eigenschaften die männlich oder weiblich konnotiert sind, zugeordnet, wie z.B. eine biologische Frau mit eher typisch männlichen Eigenschaften, wie “kann auf Augenhöhe verhandeln”.